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12.10.2016, 11:13 Uhr | Thi Minh Thuy Vu, PPP-Stipendiatin
Brief aus Maryland
Thi Minh Thuy Vu berichtet
Die Hamelner Schülerin Thi Minh Thuy Vu, die von Michael Vietz als Teilenehmerin des Parlamentarischen Patenschaftsprogramms des Deutschen Bundestages ausgewählt wurde, verbringt jetzt ein Jahr bei einer Gastfamilie in Maryland. Sie berichtet von ihrem Leben und ihrem Engagement im amerikanischen Wahlkampf:
Michael Vietz und Thi Minh Thuy Vu
 Sehr geehrter Herr Vietz,

ich bin nun schon seit einigen Monaten hier in den Vereinigten Staaten und ich kann Ihnen glücklich zurückmelden, dass ich mich in meinem neuen Alltag sehr wohlfühle und mich in der bisher erlebten Zeit soweit ganz gut eingelebt habe. Einen ganz zentralen Wert in meinem Leben hat hier natürlich die Schule, daher schildere ich Ihnen im Folgenden kurz und knapp meinen Alltag an der Oakland Mills High School. Die Tatsache, dass man sich als Schüler(in) in den USA seinen Stundenplan individuell zusammenstellen kann, gefällt mir sehr und bis heute bereue ich keinen einzigen der gewählten Kurse. Jeder Schultag startet für mich mit der ersten Stunde, in der ich Tanzunterricht habe (Modern Dance – Ballet, Jazz etc.). Anschließend habe ich Französischunterricht und in der dritten Stunde US-History. Hier lernte ich bisher viel über den Bürgerkrieg (Civil War) und das Leben der ehemaligen Sklaven und Native Americans danach. Das Wissen, das ich mir hier aneigne, kann ich gut mit meinen bisherigen geschichtlichen und politischen Kenntnissen über die USA verknüpfen und es hilft mir, das heutige Land mit seiner Geschichte besser verstehen und nachvollziehen zu können. An A-Tagen habe ich in der vierten Stunde Anatomie und an B-Tagen habe ich stattdessen Theaterunterricht. In der fünften Stunde habe ich täglich Native American History (gute Ergänzung zum Geschichtsunterricht!) und als letztes Englischunterricht.                                                            

Direkt nach der Schule nehme ich typischerweise täglich  an den „Extracurricular Activities“ teil,  eines davon ist das Training im Cross Country Team. (Zur Erklärung:  Beim Cross Country handelt es sich um Langstreckenlaufen draußen, unabhängig von den Wetterbedingungen) Glücklicherweise habe ich bereits vor der Abreise in Deutschland Kontakt mit einigen Schülerinnen hier aufgenommen, sodass diese mich in meiner anfänglichen Zeit im Team (und auch später in der Schule) super integriert und unterstützt haben. Nach meiner Ankunft hatte ich noch 2 verbleibende Wochen bis zum Schulanfang und dem Sportteam beizutreten, war zweifellos das Beste, was ich tun konnte, denn die Bindungen zu den Leuten im Cross Country Team sind bis jetzt noch die engsten! Sich im Team sozusagen schon mal einen kleinen Freundeskreis „aufgebaut“ zu haben, half mir, die ersten Tage in der Schule ohne Einsamkeit gut zu überstehen. Allgemein bin ich mit dem Sport sehr beschäftigt, da ich neben dem täglichen Training, wöchentlich mindestens einen Wettkampf gegen die anderen örtlichen Schulen habe.  Des Weiteren, bin ich Mitglied im „Young Democrats Club“. Jeden Donnerstag treffen wir uns nach dem Unterricht und diskutieren aktuelle politische Ereignisse. Offensichtlich steht die diesjährige Präsidentschaftswahl im Vordergrund unserer Debatten.

Ich weiß noch genau, wie ein Junge beim ersten Treffen kritisch in die Runde fragte, was wir als kleine Schülergruppe aus Maryland denn schon Großes in der Politikwelt bewegen könnten. –Natürlich können auch wir uns politisch engagieren! Unser Club plant, demnächst einen Trip nach Philadelphia zu unternehmen, an Türen zu klopfen und durch Gespräche möchten wir möglichst viele Bürger/-innen dazu bewegen, Hillary Clinton anstatt Donald Trump zu wählen. Weiterhin wollen wir das sogenannte „Phone Banking“ durchführen, wobei wir durch Anrufe im ganzen Land hoffentlich viele Menschen überzeugen bzw. umstimmen können. Mit Hinblick auf Möglichkeiten in unserer Schule, arbeiten wir derzeit an Plakaten und wir wollen unsere Lehrerinnen und Lehrer überzeugen, die richtige Wahl zu treffen. Das politische Engagement fühlt sich gut an, denn bisher konnte ich die Ereignisse des Wahlkampfes in Deutschland nur beobachten und für mich selbst beurteilen, nun habe ich jedoch die Möglichkeit, aktiv zu werden und ein Stück weit mitzuwirken!

In meiner bisherigen Zeit in Maryland habe ich versucht, möglichst viele Menschen über ihre Meinung und Einstellung zu den beiden Präsidentschaftskandidaten zu befragen und in der Tat habe ich mir ein breites Spektrum an Meinungen einholen können. All diese Meinungen habe ich im Folgenden versucht, in drei Hauptkategorien einzuteilen:

Kategorie 1: Die Überzahl der von mir befragten Erwachsenen und Jugendlichen sind der Auffassung, dass Donald Trump ein Rassist ist und allgemein ein falsches Bild von Amerika an die Außenwelt repräsentiert. Seine „verrückten““ Aussagen sind nicht ernst zu nehmen und seine Ziele (bestes Beispiel: Mauerbau) sind total unrealistisch und absurd! Diese Personengruppe wählt angesichts der fatalen Ausmaße (im Falle, dass Trump gewinnt), ganz klar Hillary Clinton und ist der Auffassung, dass Clinton nicht viele Worte braucht, um die Wähler von sich zu überzeugen, da Trump sich regelmäßig selbst „Eigentore“ mit seinen öffentlichen Auftritten schießt.

Kategorie 2: Andere sind wiederum klare Clinton-Gegner. Währenddessen sie die vorherige Präsidentschaft Bill Clintons schon nicht sonderlich mochten, erscheint ihnen die Vorstellung, erneut eine Person aus der Clinton-Familie an der Spitze Amerikas zu sehen, nicht gut bzw. „schrecklich“. Hauptgrund für diese negative Einstellung ist meist jedoch die Tatsache, dass Hillary Clintons Karriere bisher offensichtlich nicht ganz reibungslos verlief. Nicht selten hat mein Gegenüber auf meine Frage aufgebracht die Aussage geäußert, dass Hillary eine Lügnerin- und sogar noch schlimmer eine Mörderin sei! Viele sind nicht gerade Trump-Befürworter, doch beim Abwiegen beider Kandidaten ist Clinton (aufgrund ihrer Vergangenheit) in dem Fall eben „die Schlimmere“. Klare Trump-Befürworter dieser Personengruppe sagen immer, dass Trump-Gegner einfach nicht mit seiner ehrlichen und direkten Art klarkämen. Sie betrachten ihn als das komplette Gegenteil zu der „verlogenen“ Hillary Clinton. Ganz besonders beeindruckt hat mich das Gespräch mit meiner Cross Country Trainerin vor einigen Tagen, sie sprach von der „Verantwortung“, die sie als Wählerin für die Zukunft des Landes habe, indem sie nicht für Hillary Clinton stimmt. Der Aspekt der Verantwortung hat mir einen ganz anderen Blickwinkel auf die Beurteilung der Trump-Wähler ermöglicht.

Kategorie 3: Natürlich bin ich auch Menschen begegnet, die keinen der beiden Kandidaten mögen. Sie glauben nicht an Trump´s und/oder Clinton´s Fähigkeit, das Land zu regieren, also geben sie ihre Stimme an Drittparteien (Green Party und Libertarian Party). Im dem Young Democrats Club wurde von vielen Mitschülern scharf kritisiert, dass durch dieses „Raushalt-Verhalten“ viele wichtige Stimmen für Clinton verloren gehen und es Trump´s Wahl zum Präsidenten nur bestärkt.

Eine lustige Debatte hatten wir kürzlich über sonstige existierende Präsidentschaftskandidaten, wie z.B. einen Mann namens Vermin Supreme. Meine Mitschüler erklärten mir, dass es im Vergleich zu Donald Trump noch weitaus „bemerkenswertere“ Ziele gibt, die einige Kandidaten verfolgen: Vermin Supreme setzt sich dafür ein, dass jeder US-Bürger ein eigenes Pony erhält und dass eine Strafe für diejenigen eingeführt wird, die nicht ihre Zähne putzen. Ich bin gespannt auf weitere interessante Tatsachen, von denen ich Ihnen dann in einigen Monaten wieder berichten kann!

Die Schülerinnen und Schüler im Democrats Club sind sehr an dem politischen System in Deutschland interessiert und haben mich viel über die deutsche Politik befragt. Ich bemühe mich jedes Mal, so effektiv wie möglich als eine „Juniorbotschafterin“ zu agieren. In diesem Monat findet außerdem die sogenannte „International Presentation Week“ statt, in der jeder AFS-Austauschschüler dazu verpflichtet ist, mindestens eine Präsentation über sein Heimatland zu halten. Ich freue mich auf diese aufregende Woche und sehe definitiv vor, mehrere Präsentationen über Deutschland in verschiedenen Kursen vorzustellen.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesem Bericht gut vermitteln konnte, wie mein amerikanischer Alltag aussieht und bisher abläuft und vor allem hoffe ich, dass ich Ihnen das momentane Stimmungs-/Meinungsbild vieler Amerikaner/-innen in Zeiten der Präsidentschaftswahl veranschaulichen konnte.

Herzliche Grüße aus Maryland!

 

Thi Minh Thuy Vu
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