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23.04.2017, 16:10 Uhr | Thi Minh Thuy Vu
Austauschjahr neigt sich dem Ende zu
Thi Minh Thuy Vu als Botschafterin unseres Landes in den USA
Ich kann es kaum glauben, dass sich mein Auslandsjahr in den USA so langsam dem Ende zuneigt.  Ich kam hier her mit einem „leeren Koffer“ voll Ungewissheit und Neugier, was mich in diesem Land erwarten wird und nun, da wo ich den Koffer mit Erlebnissen und Eindrücken habe füllen können, werde ich im Folgenden davon berichten.
Thi Minh Thuy Vu mit Gastfamilie

Beim letzten Bericht vor einigen Monaten, erwähnte ich die bevorstehende IEW (International Education Week) Woche vom 14. – 18. November 2016. Ich war äußerst daran interessiert, meinen amerikanischen Mitschülerinnen und Mitschülern in den verschiedenen Klassen mein deutsches Leben und somit die deutsche Kultur näher zu bringen. Es war ein voller Erfolg. In all den Präsentationen in insgesamt 3 unterschiedlichen Klassen, kam die Präsentation gut bei den Schülerinnen und Schülern an, das habe ich an den zahlreichen Rückmeldungen gemerkt. Bevor ich startete, fragte ich jedes Mal in die Runde, um deren Wissen und Kenntnisse über Deutschland zu hören und jedes Mal kamen mir Stereotypen wie „Biertrinker“ oder die Vergangenheit in Bezug auf den Holocaust entgegen. Nach meiner Präsentation war das Feedback vieler Mitschüler die Dankbarkeit, Deutschland mal von einer ganz anderen- bzw. neuen Perspektive kennengelernt zu haben – von mir ‚ einer Person, die etwas ganz „Fremdes“ repräsentiert, ihnen jedoch so nahe steht als Mitschülerin. Mir lag am Herzen, die Präsentation nicht nur als eine Menge „trockener“ Fakten wie bspw. die Einwohnerzahl/Fläche in DE zu vermitteln, denn davon habe weder ich als „Juniorbotschafterin“ –noch die Zuhörer in der Schule sonderlich viel, da so durch kein Interesse und nachhaltiges Dazulernen erzielt werden. Daher habe ich die Präsentation so persönlich wie möglich gestaltet, indem ich viel über meine deutsche Schule (-und somit das deutsche Schulsystem) und allgemein meinen Alltag in Deutschland geredet habe. Die Bilder von vertrauten Orten wie meinem Gymnasium, meinem Haus etc. kamen gut an, denn es wirkte realistisch. Durch diese Präsentationen kam ich außerdem ins Gespräch mit neuen Mitschülern in den verschiedenen Klassen und konnte neue Freundschaften knüpfen, ein positiver Nebeneffekt, den ich sehr schätze. Am meisten erfüllt hat mich die Tatsache, dass meine Auftritte andere Jugendliche an meiner High School dazu motiviert hat, eventuell ebenfalls ein Auslandsjahr zu machen! Für den 2. Mai habe ich eine Einladung zu einem Treffen mit Bundestagsabgeordneten in Washington D.C. erhalten. Dort werde ich von meinem bisherigen Auslandsjahr berichten und meinen Bundesstaat und Host Community, in der ich lebe, repräsentieren.

Ein besonderes schulisches Ereignis ist die Talent Show an meiner High School, in der ich im April dieses Jahres den ersten Platz belegte. Gemeinsam mit 3 weiteren Schulfreunden habe ich eine selbstchoreographierte Tanzperformance aufgeführt und glücklicherweise haben wir gewonnen. Neben all der Anerkennung, Lob und Auszahlung für das monatelange Training, bekamen wir 150 Dollar Preisgeld – definitiv ein unvergessliches Ereignis, das mein Auslandsjahr für immer positiv prägen wird. Am Ende unseres Auftritts rollten wir ein großes Plakat aus („Thank you for making my exchange year memorable.“), in dem ich all meinen Freunden und besonders meiner Gastfamilie auf der Bühne für ihre Unterstützung tatkräftig dankte, dieses Auslandsjahr so unvergesslich für mich zu gestalten. Ich werde nie den tollen Tag des 6. April vergessen, an dem meine Gastfamilie zur Talentshow kam, um mir zuzuschauen und nach dem Sieg hatten wir eine kurze Konversation mit dem pincipal meiner High School. Er gratulierte mir nochmal und meine Gastmutter, die ebenfalls dort stand, legte in dem Moment stolz ihren Arm um meine Schulter und sagte spaßig, dass ich dieses Talent von ihr geerbt habe und es ja in der Familie liege, da ich ein wahrer Teil der Familie bin.

Bezüglich des Alltags als Austauschschülern ist zu sagen, dass man sozusagen stets im „Dauereinsatz“ ist. Egal ob in der Schule, Supermarkt, Kirche oder im Freundeskreis –man trifft immer wieder neue Menschen und wird als die deutsche Austauschschülerin vorgestellt. In der Schule werde ich am meisten gefragt, inwiefern sich mein Schulleben in Deutschland im Vergleich zum High School Leben unterscheidet und jedes Mal ist das Staunen bei den Amerikanern besonders groß, wenn ich vom hohen Leistungsniveau an meinem Gymnasium erzähle und die Tatsache, dass wir keine Events wie Homecoming, Spirit Week oder bspw. Pep Rally während der Schulzeit haben. Ich erkläre ihnen, dass Prom nur teilweise vergleichbar ist mit dem Abiturball, doch leider ist diese Veranstaltung logischerweise nicht auch für den 11. Jahrgang gedacht (wie es beim Prom der Fall ist). Egal in welche Richtung ich denke, ich finde jedes Mal aufs neue Dinge, die ich nun jeweils an den USA und Deutschland mehr zu schätzen weiß, nachdem ich beides im Vergleich vor Augen hatte. Die mit Abstand am meisten gestellte Frage ist, was ich am meisten liebe an/in den USA und anfangs hatte ich ehrlich gesagt Probleme, mir eine gute, ehrliche und perfekte Standartantwort zurecht zulegen, da ich genau wusste, dass mich diese Frage immer wieder einholen wird. Doch je mehr Zeit verging habe ich begriffen, dass die Wahrheit ist, dass es nicht diese eine Lieblingssache oder Eigenschaft gibt, die ich hier in meinem Gastland absolut liebe. Es gibt natürlich viele Dinge, die ich sehr genieße und vermissen werde nach der Heimreise, aber meine Antwort lautet: Nothing’s worse or better, it’s just different. Leute sagen immer, dass man „interkulturelle Kompetenzen“ durch ein Auslandsjahr erwirbt, doch was genau bedeutet das? In meinem Fall habe ich gelernt, dass es im Auslandsjahr nicht nur darum geht, Kulturen zu vergleichen und bessere/schlechtere Dinge zu begreifen und hervorzuheben, sondern es geht darum, verschiedene Kulturen im Alltag miteinander zu vergleichen, sie zu hinterfragen und sie in ihrem Grundwesen zu verstehen, um im Nachhinein eine besseres Rundumverständnis zu entwickeln. Mit den neu erworbenen interkulturellen Kompetenzen wird es einem dann definitiv einfacher gelingen, in Zukunft einen Platz in dieser Welt zu finden und mit den verschiedensten Situationen im Leben klarzukommen.

In Bezug auf das Familienleben ist zu sagen, dass wir täglich gegenseitig voneinander lernen, z.B. durch das Kochen von heimischen Gerichten, um meiner amerikanischen Familie ein Stück Heimat zu zeigen. Einige Gerichte kamen bisher gut an, andere wiederum nicht. So ist das eben. Vor allem kommen wir zum Austausch, wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen beim gemeinsamen Abendessen. Dort sprechen wir oft über meine Eindrücke und wie bestimmte Dinge so sind in Deutschland. Die Feiertage (Thanksgiving, Weihnachten und Ostern) haben uns am meisten dazu verholfen, als Familie enger zusammenzuwachsen. Besonders in solch Feiertagen lernt man die amerikanische Gastfamilie –und somit die „fremde“ Kultur, so richtig kennen. Ich war Bestandteil von bestimmten Traditionen und Ritualen, die ich noch nie zuvor erlebt habe (z.B. in meiner Gastfamilie ist es eine jahrelange Tradition geoworden, an Ostern Chicken Cordon Bleu zu essen). Das beste Beispiel hierfür ist Thanksgiving, ein Fest, das wir in Deutschland nicht haben. Ich habe den historischen Hintergrund erklärt bekommen und einen typischen Truthahn zu dieser Feierlichkeit essen können. Vor kurzem hatten wir Spring Break und ich lernte meine amerikanischen (Gast-) Großeltern kennen. Sie kamen von Massachusetts hierher nach Maryland, um Ostern mit uns zu verbringen. Es war ein herrliches Zusammensein, denn ich habe dieses Jahr mein erstes Osterfest erlebt und das Besondere daran ist, dass ich diese wundervolle Erfahrung im Rahmen meiner liebevollen Gastfamilie verbringen durfte. Meine Familie hat sich sehr bemüht, mein aller erstes Osterfest ganz besonders für mich zu gestalten: Sie nahmen mich mit zu einem gutbesuchten Gottesdienst in der Kirche am Sonntagmorgen und anschließend haben wir im Garten eine Ostereisuche durchgeführt und Ostereier bemalt. Im Großen und Ganzen hat Ostern mir nicht nur dazu geholfen, das Christentum und die Geschichte des Osterfestes besser zu verstehen, sondern es hat mir auch weiterhin verdeutlicht, wie angenehm es doch sein kann, ein Fest (und allgemein Spring Break) mit der Familie zu verbringen! Wir haben nicht großartige Trips in weit entfernte Orte/andere US Bundesstaaten unternommen, es waren eher kleinere familienorientierte Aktivitäten (bspw. Minigolf oder Picknicke im Park), die diese gemeinsame Zeit so angenehm gestaltet und geprägt haben. Ich hatte bisher im Leben noch nie die Möglichkeit, mehrere Tage mit meinen Großeltern zu verbringen, vor allem an Festtagen hätte ich mir so ein Zusammenkommen sehr gewünscht. Doch da meine biologischen Großeltern in einem anderen Land und einem ganz anderen Kontinent leben, wuchs ich ausschließlich mit meinen Eltern und Brüdern auf. Dieses Ostern hatte für mich persönlich also eine umso wichtigere Bedeutung! Ich schätze sehr, wie meine Gastfamilie versucht, all meine „ersten Mal“, in dem ich etwas völlig neues erlebe/ausprobiere, so gut wie nur möglich zu gestalten. Wir nennen es jedes Mal „Thuy’s firsts“ mit einem Lächeln im Gesicht. Ich bin längst an dem Punkt angelangt, an dem ich mich hier in meiner amerikanischen Gastfamilie sehr heimisch fühle und diese großartigen Menschen, die mich liebevoll aufnahmen, als meine Familie und meine Großeltern bezeichnen kann. Gern blicke ich auf den Abschiedsmoment zurück, in dem mein neu dazugewonnener amerikanischer Großvater mehrmals glücklich wiederholte: „It was a pleasure to meet you! You’re a great person and I am happy that I finally got the chance to meet you. Make the best out of the rest of your year!” Voller Freude und Dankbarkeit für diese schöne Zeit, rief ich ihm zu: „I will!”

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