Plenarreden 2013-2017

14.10.2015: 129. Sitzung / TOP 6 - Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara
 Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Kollege Nietan. – Nächster Redner: Michael Vietz für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Michael Vietz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! 97 Tote, mehrere Hundert Verletzte – der brutale und feige Terroranschlag in Ankara hat die Türkei in einer ohnehin schwierigen innenpolitischen Situation erschüttert; er hat uns erschüttert. Unser tiefes Mitgefühl gilt sowohl den Opfern als auch ihren Angehörigen und Freunden. Eine rasche und umfassende Aufklärung der Hintergründe bringt die Toten nicht zurück, hilft aber dabei, die Geschehnisse aufzuarbeiten.

Wer die Anschläge zu verantworten hat, können wir noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, auch wenn Indizien auf den IS hinweisen. Wir verurteilen diesen menschenverachtenden Anschlag scharf. Wer einen solchen Angriff auf eine unschuldige Menschenmenge unternimmt, die friedlich demonstriert, verübt auch einen Anschlag auf die Grundprinzipien der Demokratie allgemein. Im festen Schulterschluss mit der türkischen Bevölkerung müssen wir in Deutschland wie im restlichen Europa deutlich machen, dass wir uns dem Terror von feigen Anschlägen nicht beugen.

Die Türkei befindet sich seit Monaten im Wahlkampf. Ganz gleich zu wessen Gunsten die Wahlen im November ausfallen: Es ist im deutschen ebenso wie im europäischen Interesse, dass sich die innenpolitische Lage der Türkei stabilisiert. Wir brauchen einen zuverlässigen Partner in der Region. Ob es nun Teilen des Hauses gefällt oder nicht: Präsident Erd̆oğan wird nach dem 1. November 2015 Staatspräsident der Türkei bleiben.

Gegenwärtig steht die Türkei vor enormen Herausforderungen und unter massivem Druck. Zahlreiche innere und äußere Konflikte greifen ineinander und verstärken sich gegenseitig: der stockende Friedensprozess mit dem kurdischen Bevölkerungsteil, das ambivalente Verhältnis zu dem IS und den Kurden in Syrien und im Irak. All das trägt zur Eskalation mit bei.

Auf der anderen Seite leistet die Türkei einen starken Beitrag. Über 2 Millionen Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg wurden in dem Land aufgenommen. Unbestritten ist, dass der Türkei bei all den Herausforderungen, vor denen wir alle derzeit stehen, eine Schlüsselposition zukommt. Die Türkei als Transitland ist ein wichtiger Akteur in der Region. Der Kampf gegen den Terrorismus, der blutige Krieg in Syrien, die Bewältigung der Flüchtlingssituation – all das steht auf der Agenda, wenn unsere Bundeskanzlerin am Sonntag nach Ankara fährt. Die Europäische Union, Deutschland und die Türkei, wir alle müssen Teil der Lösung sein, um die gegenwärtigen Krisen zu bewältigen.

Die Türkei ist unser Verbündeter, unser Partner in der NATO, ein wichtiger Handelspartner. Nicht zuletzt durch einen großen Teil unserer eigenen Bevölkerung sind wir mit der Türkei eng verbunden. Daher ist die verlässliche Dialogbereitschaft der Bundesregierung gerade auch in dieser Situation geboten; denn nur gemeinsam mit der Türkei werden wir die Situation und die Zukunft der Flüchtlinge im Nahen Osten bewältigen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Nur mit der Türkei werden wir für die zahlreichen Flüchtlinge Perspektiven und Schutz vor Ort gewährleisten können.

Rufe nach einem Abbruch des Dialogs mit Präsident Erdoğan führen da in die Irre. Wir müssen vielmehr unbeirrt unseren Dialog mit der Türkei fortsetzen, benennen, was uns problematisch erscheint, unterstützen, was unterstützenswert ist.

Ich bin sicher, dass Deutschland durch seine Dialogbereitschaft einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung dieser Krisen leisten und dabei auch klare Position beziehen kann. Dabei setzen wir auf gegenseitiges Vertrauen, wie es unter Freunden nun einmal so üblich ist, und halten trotzdem beide Augen weit offen; denn eine Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen in dieser nicht wirklich einfachen Region, vom syrischen Krieg bis hin zur Flüchtlingslage, kann ich mir ohne unsere türkischen Partner nur schwer vorstellen.

Die Türkei befindet sich in einer schwierigen Lage. Wir brauchen die Türkei als Anker in der Region. Deutschland und Europa werden ihr Möglichstes tun, um hier an der Seite der Türkei, an der Seite von Recht und Ordnung und an der Seite einer demokratischen Gesellschaft zu stehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ihr könnt Freunde haben!)

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